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Songs without words
Nicola Petek, 2023



Beim Betreten der Ausstellung hat man den Eindruck, Klänge zu vernehmen. Nicht zu definierende Melodien, beinahe singbare, in sich geschlossene Folgen von Tönen, die sich jedem Menschen anders offenbaren. Diese individuellen Leitmotive werden nicht anhand des Inhalts der Bilder komponiert, sondern durch die Empfindung, die uns bei deren Betrachtung einholt. „Das Flöten der Nachtigall ist absolute Stimme.“  Mit diesen Worten beschreibt der Biologe und Philosoph Andreas Weber sein Erlebnis mit einem Singvogel. Die Betrachtung der Arbeiten von Gosia Machon und Daniel Hörner führt zu einer ähnlichen Erkenntnis: sie sind absolutes Gefühl. Der Weg zu dieser Aussage führt sowohl für die Kunstschaffenden als auch für die Betrachtenden durch kontrastierende innere Landschaften.

Machon scheint von der Annahme auszugehen: „ALLES fühlt“. Ihre ProtagonistInnen, oftmals pflanzliche Lebewesen, begleiten uns durch eine menschenleere Wildnis. Diese Portraits von fiktiven Persönlichkeiten sind nicht im Geringsten Studien in Botanik, sondern entspringen dem Versuch Empathie, Demut, Sehnsucht, und Bewunderung zu verbildlichen. Sie verfügen über keine äußeren, menschlichen Attribute, jedoch wird spürbar, dass sie uns durch ihre Bedürfnisse und Empfindungen gleichwertig gegenüberstehen. Dem mimetischen Verständnis Aristoteles folgend erprobt Machon mithilfe ihrer Darstellungen, Dinge zur Erscheinung zu bringen, die uns alle umtreiben. Dabei schöpft sie aus einem mentalen Fundus fiktiver Natur, den es weder zu enträtseln noch zu verstehen gilt, sondern der uns zum Beobachten und Reflektieren veranlassen soll.

Daniel Hörner’s Arbeit erwächst ebenfalls aus einem womöglich tiefen Urvertrauen in die Intuition. Dieses äußert sich vor allen Dingen im Schaffensprozess, in dem Zufall und spontaner Ausdruck eine wichtige Bedeutung zugesprochen wird. Inwendig vorhandene, vielleicht sogar ihm selbst bis dahin unbekannte Empfindungen Regungen und Reaktionen auf äußere Einflüsse manifestieren sich in den Bildern des Künstlers, ohne dass sie für die Betrachtenden zu entschlüsseln seien. Sie sind dabei keinesfalls referenzlos – es ist nur so, dass die maßgebende Emotion ausschließlich ihm selbst bekannt ist. Die Werke bestätigen die Ansicht des Philosophen Theodor W. Adorno, dass auch für die ungegenständlich ausgerichtete Kunst das Element des Mimetischen zentral ist. „ICH fühle“, lautet die Aussage Hörners. Dem Bild ist es gestattet, allein als solches zu erkennen zu sein, sodass die Assoziationsmöglichkeiten für die Betrachtenden unbesetzt bleiben.

Was Machon und Hörner vereint ist das Zurückgreifen auf Impulse aus dem Inneren. Die Verknüpfung nach Außen provoziert eine emotionale Reaktion auf das Gesehene, also eine psychophysische Bewegtheit, spürbar gemacht durch die Auseinandersetzung mit der Kunst. Durch den bildenden Moment selbst, die Geste mit dem Pinsel oder der bloßen Hand, die wie mit einem Taktstock die Farben dirigiert, geben die Kunstschaffenden im Atelier erstmals eine Melodie vor; in der Ausstellung betten wir, die Betrachtenden, diese in Harmonien ein und beschwören durch die Vertiefung in die Werke selbst den Text, der der Komposition eine Bedeutung verleiht.


 

Veröffentlicht im Rahmen der Ausstellung mit Daniel Hörner in Galerie Herold, Hamburg  "Songs without words"

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