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Andreas Nietschke
BLINDER FLECK

anlässlich der Ausstellung "Blinder Fleck", Galerie Mellies, 2021
 

 

1.

Gosia Machon, eine in Polen geborene und mittlerweile seit fast 20 Jahren in Hamburg lebende Malerin, die sich in dieser Zeit sowohl deutschlandweit als auch international als Künstlerin einen Namen hat machen können, zeigt neue Arbeiten auf Papier, Aquarelle, Gouachen sowie einige Ölgemälde. 

Bereits in ihren Anfangsjahren als Künstlerin wurde Gosia Machon zu namhaften Gruppenausstellungen u.a. ins Itabashi Museum nach Tokio, in den Salon de Livre nach Paris, ins MAK nach Wien oder national ins Museum für Druckkunst nach Leipzig eingeladen, bis sie 2008 in Hamburg mit ihrer ersten Einzelausstellung aufwarten konnte. 

Es folgten bis heute Einzel- und Gruppenshows mit hoher Reputation. Ihr Ausstellungsweg führte sie zum Goethe Institut nach Hamburg, europaweit über Bologna nach Istanbul, Antwerpen, Lodz und Copenhagen bis nach Shanghai, Kyoto oder Tel Aviv, um hier nur einige ihrer wichtigsten Stationen zu nennen. 2019 zeigte die renommierte Galerie Catherine Putman in Paris ihre Werke, Ende letzten Jahres der Kunstverein in Ellwangen.

Dass die sogenannte "Polnische Schule der Plakatkunst" - die polska skola plakatu - in den 50er und 60er Jahren eine künstlerische Gruppe die Weltruhm erlangte, auf ihre ersten Bilder abfärbte und Gosia Machon, selbst aus Oberschlesien stammend, sich vermutlich auch von dieser Tradition hat beeinflussen lassen, ist in der Frühphase ihres Werdegangs unübersehbar. So gewann Gosia Machon noch 2007 einen Preis in einem Plakatwettbewerb, bevor sie sich dann überwiegend der Malerei widmete. 

Den berühmten Plakaten aus Polen, diese "auf Gedankenverbindungen beruhenden Werke der polnischen Schule" werden z.B. von Wikipedia "extrem knappe eigenartige Ausdrucksmittel" bescheinigt, die Staatlichen Museen in Berlin attestieren ihnen aber auch "Frische und Neuartigkeit durch den Einsatz von Humor und Farbigkeit". Beides lässt sich beinahe 1 zu 1 auf das Œuvre von Gosia Machon übertragen. 

Gosia Machons Bilder wirken dramaturgisch, szenisch und fast filmisch. Man wird sowohl an die sehr transzendenten Filme des Russen Andrej Tarkowski erinnert, an Frantisek Vlacils bahnbrechende Verfilmungen "Marketa Lazarova"von 1967 oder "Die weisse Taube" als auch an "Das Turiner Pferd" von Bela Tarr von 2011. Sie verhandelt ihre Themen ähnlich ruhig wie jüngst Alfonso Cuaron in seinem Film "Roma", zeitweise fühlt man sich hineinversetzt in Traumsequenzen aus einem David Lynch-Film. Man fühlt sich aber auch an viktorianische Phantastik aus der Literatur erinnert, an die Novellen von Wilkie Collins oder Theodor Storm. Gosia Machons Bilder fallen ganz bewusst aus der Zeit.

Farblich und inhaltlich entdeckt man Parallelen zur Volkskultur, zum südamerikanischen magischen Realismus oder zur aktuellen afro-amerikanischen Malerei der Gegenwart, denkt man nur an die Nähe zu den malerischen Arbeiten von Kara Walker. Dann wieder meint man Bezüge zu entdecken zur italienischen Arte Povera und zur manchmal ganz bewusst ungelenk wirkenden Malerei der Transavantgarde eines Francesco Clemente oder eines Sandro Chia, zur arte cifra, manchmal auch zu Käthe Kollwitz oder den ersten Bildern von A.R. Penck noch vor seiner Höhlenmalerei-Phase. Zur primitiven Malerei, zum Fauvismus und zur Figuration Libre Frankreichs.

So karg und auf dem ersten Blick unscheinbar Gosia Machons Bilder zunächst daherzukommen scheinen, so stabil und gefestigt sind sie in der modernen Kultur und Malerei verankert und interpretieren diese unterschiedlichen kunstgeschichtlichen Strömungen und Tendenzen gekonnt neu.

Wenn Max Beckmann Kunst als "nichts anderes als vollendete Natur" postuliert, malt Gosia Machon ganz genauso. Indem sie ihre Bilder formal so sehr reduziert macht sie Identität hinter bzw. statt Realität sichtbar, verdichtet also die natürliche uns umgebende Realität ganz im Sinne Beckmanns. Gosia Machon macht Natur übernatürlich und hebt sie quasi aus sich selbst heraus.  

Das ist stilistisches Downsizing at its best. Aller vermeintlichen Sperrigkeit zum Trotz ist Gosia Machons Malerei immer auch ein Herunterbrechen von Farbe und Form um eine Steigerung der Wirkung willen. Und sie schafft es gerade damit, ihre Themen in eine famose reduzierte Bildsprache zu übersetzen.

Wer also einmal ganz gedankenvoll in seinen eigenen Assoziationen schwelgen möchte, ist in der Ausstellung "Blinder Fleck" von Gosia Machon sehr gut aufgehoben.  

2.

Nunmehr bereits im zweiten Jahr präsentiert die Galerie Mellies überregional bekannte Kunst, diesmal Malerei einer anderen Art.


Bilder als „Blinde Flecke“ zu bezeichnen, erscheint zunächst als ein Paradoxon. Etwas zu sehen und es gleichzeitig doch nicht zu sehen, es vor einem geistigen Auge wie Schemen völlig anders zusammenzusetzen und zu deuten, ist das Wesen der neuen Ausstellung in der Galerie Mellies.
Betrachtet man die Malerei der deutsch-polnischen Malerin Gosia Machon, erscheint der Ausstellungstitel "BLINDER FLECK" auf einmal ganz folgerichtig.
Geheimnisvoll und manchmal auch düster entziehen sich viele ihrer Bilder erst einmal einer eindeutigen Interpretation. Das, was oft sehr sphärisch abgebildet ist, weckt Erinnerungsbilder, spielt mit dem Auge, mit dem Begriff von Anschaulichkeit, von Sehen und Erkennen. Bedeutungen verschwinden und lösen sich auf. Schließen wir die Augen kurz beim Betrachten, werden Areale, verborgene Nervenbahnen in uns berührt, die Wünsche und bislang Verdrängtes zum Vorschein bringen.


Die Gemälde von Gosia Machon projizieren mit einer enormen Fabulierkraft Bilder im Kopf wie kurze Lichtpunkte und man wird sich über Dinge bewusst, die man auf dem ersten Blick weder sofort sieht noch erkennt.
Dabei scheinen die Bilder der in Hamburg arbeitenden und lebenden Künstlerin Gosia Machon regelrecht zu glühen, so sehr heizt sie sie atmosphärisch mit Symbolik auf. Es sind Bilder wie unsynchronisierte Filme. Bilder, die eine andere Aufmerksamkeit und Lesbarkeit erfordern. Sie passen - fast schon balsamisch - ideal zum Anschluss an den kalten Jahreswechsel in den Detmolder Frühling. Hier wird Bildende Kunst zu einem wahren Augenschein, zu einem Highlight und Blickfang.


Was ist nun das Besondere dieser eigenwilligen sinnbefrachteten Bilder, dieser vibrierenden Augenrätsel voller Empfindsamkeit?


Man muss zweimal hinsehen, sich einen Nachschlüssel machen, um sich Zugang zu verschaffen. Man muss seinen Blick auf das Einfache, das Wesentliche kalibrieren. Dann kann sich sogar ein Hauch von Ironie in ihren oft zunächst okkult wirkenden Bildern zeigen.
Der festen Überzeugung, dass eine zu kleinliche, pittoreske, stilisierte oder manierierte Malweise dem psychologisch angehauchten Zweck ihrer Bilder eher abträglich ist, brandet uns in Gosia Machons Bildern eine nicht zimperliche Malerei entgegen. Unverhohlen großflächig, mit dickem Pinselstrich, mit klaren Farben, Konturen, Ecken und Kanten stellen sich uns ihre Bilder entgegen. Da sucht jemand Klarheit. Da will jemand Emotionen aktivieren. Sich nicht in Schale schmeißen. Da malt jemand ganz bewusst und entschieden geheimnisumwitterte Gewaltnatur. Und steht dazu.


Gosia Machon malt wie aus Schwaden. Aus dem Tristen, aus dem Klammen ihrer Motive personifizieren, ja teleportieren sich fast geheimnisvolle Rätsel. Mit Patina überzogene, unorthodoxe, offenlassende, kahle Szenen im Halbdunkel führen rare Geschichten und Figuren vor. Oft sind es getünchte, archaische, harzige und verwitterte Farben. Aber auch - bei den Ölbildern - Farben wie Kristalle: in ihrer Wirkung klar und klirrend. Ein bewusst gesetzter formaler Reizentzug. Mehr wolkig als heiter. Farben, die von Heilung als auch von Zerfall künden. Violett bräunlich, mal fadenscheinig und lichtlos, mal strahlend und kunterbunt.

Machons Bilder wirken wie bei hellem Sonnenlicht unter einer geschützten Hand gemalt. Abgeschirmt und metaphorisch. Fordernd und beunruhigend. Das Strahlende, das Schillernde, das, was Wirklichkeit auch haben kann, völlig ausblendend.


Dabei umfasst Gosia Machons Farbwelt ein wohlklingend dissonantes und erdig geblieben-
es Farbtableau. Kaffeebraun wie Pferderücken. Flaschengrün, dachziegelorange, sinalcogelb, marmeladenrot. Beige wie Veloursleder. Verschleiertes blau. Weiß ist bei ihr nicht weiß, sondern Elfenbein, Schmalz und Kaugummi. Farben wie Streuobst. Grau, violett. Wir sehen versehrte Farben, die von kratzigen Kinderstrumpfhosen künden, von Topflappen. Farben, wie wir sie
aus gänzlich anderen Zusammenhängen kennen, Farben wie Altersflecken, zigarrenrauchgrau, wie Polstermöbel, sepia, türkis, mahagoni und curry. Indian summer meets golden brown.
Nur ist dies mitnichten ein nostalgisch verklärter Shabby Chic. Auch wenn diese wunderlich verwelkte Farbästhetik einer vergangenen Zeit zu entspringen scheint, feiert Gosia Machon mit ihren oftmals überschatteten Farbtönen im Grunde die Ursprünglichkeit der Farben.
Dazu kommt das sie inhaltlich kleinste Situationen verewigt und sie zu staunenswert-
en Erscheinungsbildern inszeniert. Fragile Gestalten wie kleine Reiter genauso wie stämmige Baum-Hybriden, denen gegen alle Gesetze der Vegetation zum Trotz scheinbar Fußgebilde aus dem Stamm wachsen. Alles ist und bleibt hier zwar eindeutig benennbar, beschreibbar, mit viel Eigensinn. Und nur schwer zu deuten.


Anatomisch korrekt, perspektivisch richtig, malerisch virtuos sind nicht die Worte, die einem sofort in den Sinn kommen, wenn man Gosia Machons Werke sieht. Es sind fast kärglich gemalte Physiognomien. Das Gegenteil von pompöser Fülle und kraftmeiernder Originaltreue. All das ist nicht ihr Antrieb. Es ist weit mehr!


Denn gerade das Flächige und Eindimensionale im Malen kann diese Interpretationsvielfalt erst am besten hervorrufen. Räumliche Tiefe, Plastizität braucht es da nicht und stünde nur im Weg.
Ihre tanzenden Figuren sind farbige Platzhalter und Attrappen, spukende Gestaltwandler und stehen für etwas anderes. Erst durch ihre asketische Einfachheit und spartanische Sperrigkeit bilden sie geschlossene schwebend-surreale Systeme, Schimären gleich.
Dieses Einbetten wie in farbigen Fruchtblasen macht Gosia Machons Bilder so gewaltig und mitreißend und ihre Klaviatur so assoziativ, nie perlenbesetzt. Es sind Mirakel aus mannigfaltigen Dingen, aus Tieren und menschenähnlichen Wesen. Minimalistische Szenen, mit denen sie einen enorm dichten narrativen Kokon spinnt.


Es ist Malerei von heute und für heute. Gosia Machon malt aus dem hier und jetzt. Aus der verblassenden Natur. Man kann es als Schwanengesang betrachten, denn das unbedingt Interessante an ihrer Kunst ist das Leiten des Blicks auf eine andere Natur. Vielleicht auch auf eine sterbende Natur. Auf ein anderes Dasein.


Mit Bravour lenkt sie das Betrachten auf das Wenige und macht ihre Bilder zu märchenhaften kleinen Bagatellen, zu halluzinogenen schwebenden Zaubergärten, mal wie Kopfsteinpflaster, mal wie Luftballons.


Allesamt zartbittere Bildpralinen.


 

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